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Arianna Bisaz

Gesunder Boden: Das Rezept gegen Starkregen und Dürre

Viele Regionen Westeuropas hatten diesen Sommer aufgrund langanhaltender und heftiger Niederschläge mit Hochwasser und gewaltigen Überschwemmungen zu kämpfen. Generell ergeben die Klimamodelle für unsere Regionen für die nahe Zukunft mehr Starkregenereignisse.



Doch ohne Zweifel steht uns in Kürze trotzdem schon die nächste Trockenperiode ins Haus. Denn so paradox es klingen mag: Mehr Starkniederschläge bedeutet, dass auch die Dürre in Zukunft zunehmen wird.


Fällt mehr Regen in kurzer Zeit, nimmt die Zahl jener Tage zu, an denen gar kein Tropfen fällt.

Ist ein Boden erst mal total ausgetrocknet und das Bodenleben darin zu grossen Teilen verkümmert, wird er grosse Mühe haben, wieder Wasser aufzunehmen – egal, wie viel es regnet. Die Bodenoberfläche verhält sich dann wie ein imprägnierter Deckel und das Regenwasser fliesst zu grossen Teilen oberflächlich ab – mit verheerenden Auswirkungen.



In Mitteleuropa, so das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, fehlten im 2019 dutzende Milliarden Tonnen Wasser im Boden – ein gewaltiges Wasserdefizit!


Mal Dürre, mal überschwemmte Felder: Je launischer und unberechenbar das Wetter wird, desto wichtiger und herausfordernder ist unsere Aufgabe, im Boden für grösstmögliche Widerstandskraft und Stabilität zu sorgen - sprich günstiges Wetter im Boden zu fördern trotz Wetterkapriolen über dem Boden.


Warum genau, fragst du nun vielleicht? Und bitte: Wer sollte denn für günstiges «Bodenwetter» zuständig sein?


Es folgen Fragmente einer Antwort, frei nach der österreichischen Mikrobiologin Harriet Mella, welche wissenschaftliche Pionierarbeiten im Bereich der Biologie und Biophysik aufarbeitet, damit dieses Wissen konsequent in die landwirtschaftliche Praxis integriert werden kann.


Habitat für unsere wichtigsten Mitarbeitenden


Also, gleich zur ersten Frage: Warum sollten wir für einen möglichst resilienten Boden sorgen – für möglichst exzellentes Bodenwetter, auch bei miesen oder extremen Zuständen über dem Boden?


Die Antwort ist einfach: Nebst der Menge und Regelmässigkeit des Niederschlags wird das Bodenwetter auch noch von weiteren Faktoren bestimmt, wie z.B. der Bodenbeschaffenheit, der Verdunstungsrate sowie – besonders wichtig!! - der Bodengesundheit. Sprechen wir von Bodengesundheit, steht sofort das Bodenleben im Scheinwerferlicht.


Dieses Bodenleben, das viele enorm wichtige und gute Taten für uns Landwirt*innen leistet, gedeiht am besten, wenn sein Bodenalltag zu grossen Teilen aus Routine besteht.


Es fühlt sich am wohlsten, wenn abiotischer Stress (d.h. negative Einflüsse nicht lebender Faktoren) wie Wassermangel, Wasserüberschuss oder stark schwankende Temperaturen in einem gut erträglichen Rahmen bleiben.


Die Reaktionen der Bodenorganismen auf laufend wechselnde Bodenverhältnisse - wenn sie also beispielsweise gezwungen werden, in einen Schlafmodus zu fallen oder die Enzymproduktion umzustellen - sind für die kleinen Lebewesen energieintensiv und auf die Dauer sehr anstrengend. Sie können auch sehr riskant oder sogar fatal sein. Folglich ist es äusserst wichtig, gute Bedingungen für das Bodenleben und ihre Lebensprozesse zu schaffen. Denn gute Erträge und gute Erntequalität hängen von ihnen ab.


Gehen wir zur zweiten Frage über: Wer oder was genau ist für ein möglichst vorteilhaftes Bodenwetter zuständig?


Zwei entscheidende Akteure


Gemäss Harriet Mella ist das Zusammenspiel von zwei Partnern matchentscheidend: Das Zusammenspiel der organischen Bodensubstanz und dem Wasser. Dieses Duo sorgt für Widerstandsfähigkeit im Boden.


Holen wir kurz aus: «Organische Bodensubstanz» definieren wir hier als die Gesamtheit der «toten» organischen Substanz (hauptsächlich Humus) und der lebenden organischen Fraktion (Pflanzenwurzeln, Bodenflora und Bodenfauna) sowie derer Umwandlungsprodukte im Boden und an der Bodenoberfläche.



Das Wasser, welches als unglaublich vielseitiger, differenzierter und aktiver Teilnehmer vieler Lebensprozesse u.a. Energie transportiert, Stoffe löst-bindet-transportiert und Informationen überträgt, setzt die organische Bodensubstanz einfach formuliert «in Gang». Es verbindet und integriert nämlich dessen sogenannt physischen, chemischen und biologischen Eigenschaften zu einer funktionierenden Einheit.


Das Duo Wasser und Bodenorganik fungiert also als ein Ganzes und leistet unter Verwendung von Luft und Sonnenenergie unter der allgemeinen Bezeichnung «lebendigen Boden» eine Vielzahl von lebenswichtigen Funktionen.

Die folgende Aufzählung ist nicht abschliessend:


  • Im Bereich der Bodenphysik: Bildung von Bodenstruktur und Aggregate mit Poren und Kapillaren; Belüftung; Regelung von Wasserphasen- und Struktur; Wasserspeicherung; Regelung der Bodentemperatur; elektrische Leitfähigkeit; Benetzungsfähigkeit; magnetische Eigenschaften; Energietransformation


  • Im Bereich der Bodenchemie: Nährstoffbindung und -speicherung, Chelatbildung, Immobilisierung von Schwermetallen und Toxinen, Elektronenspeicherung (elektrische Ladungen und Redox-Prozesse)


  • Im Bereich der Bodenbiologie: Stimulierung und Beeinflussung von Stoffwechsel und endogenen Rhythmen (circadiane Rhythmik), Ausdruck und Veränderung des Genotyps (Genexpression), Transport- und Kommunikationsfunktionen


Ganz schön viel, nicht?


Es sind solche Dienstleistungen und Prozesse des lebendigen Bodens, also von Wasser und organischer Bodensubstanz, welche in ihrer Gesamtheit eine biodiverse, dynamische Balance und möglichst grosse Widerstandskraft im Boden herstellen bzw. erhalten.


Spannend dabei ist, dass Wasser und Kohlenstoff sich grundsätzlich gemeinsam bewegen. Wo das eine fehlt, fehlt auch das andere und wo das andere reichlich vorhanden ist, ist auch das erstere im Überfluss da.


Räumlich und zeitlich möglichst gleichmässig verteilte Feuchtigkeit ist somit generell am besten, um Kohlenstoffanreicherung im Boden sprich Humusaufbau zu fördern.

Die Vermehrung von Humus verbessert wiederum den Wasserhaushalt im Boden. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Und eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Produktion und regelmässige Ernten sowie – bitte nicht unterschätzen! - für die Delegierung eines Teils unserer Arbeitspensums an den Boden.


Die Klaviatur des Landwirts


Harriet Mella hat die oben skizzierten Bodenfunktionen und Zusammenhänge zum besseren Verständnis in ihrem «Farmer’s keyboard» dargestellt (siehe Bild unten): In der Mitte der Darstellung befinden sich zwei ineinander liegende Kreise – das Duo Wasser und organische Bodensubstanz. Rundherum, wie Blütenblätter angeordnet, ist die Klaviatur mit den Tasten «Bodenstruktur», «Ladungen/ Kräfte», «mineralische Substanz», «Klima», «Bodennahrungsnetz», «Flora», «Fauna» und die «Rhythmen/ Zeiten» zu finden.




Bild: Harriet Mella


Zentrum und Blütenblätter bilden ein auf sich selbst abgestimmtes, sich selber stabilisierendes System, das für jeden Flecken Boden spezifische Merkmale aufzeigt.

Das Wichtigste dabei ist: Alle Blütenblätter bzw. Tasten stehen in Beziehung zu einander.


Wenn du also eine Taste drückst, reagiert das gesamte System und alle anderen Tasten schlagen aus. Dreh- und Angelpunkt ist freilich immer das Zentrum mit dem Duo Wasser & organischen Bodensubstanz, welches an jeder Reaktion der Tasten beteiligt ist.


Gemäss Harriet Mella steht die Art und Weise, wie die Reaktion der Tasten aussieht, hauptsächlich unter dem Einfluss von Wasser; dabei trägt Humus als wichtigster Elektronenspender und -speicher ganz wesentlich zur Stabilisierung des Systems bei (siehe dazu den Blogpost zu Redox).



Wie die Tastatur des Landwirts reagiert: Wendende Bodenbearbeitung


Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Auf Parzelle X der Landwirtin Y wird eine wendende Bodenbearbeitung durchgeführt. Sofort wird die bis anhin bestehende Balance im Boden auf den Kopf gestellt und sucht sich ein neues dynamisches Gleichgewicht, siehe Bild.


Quelle: Harriet Mella


Dazu laufen unter anderem folgende Prozesse ab: Durch die Bodenbearbeitung wird der Sauerstoffgehalt im Boden verändert (-> Auswirkungen auf Redox/Taste Ladungen und Kräfte). Bodenmineralien wie Eisen und Mangan werden oxidiert und Phosphat fällt aus (Taste mineralische Substanz). Aggregate werden aufgebrochen und verlieren ihre gleichmässige Verteilung (Taste Bodenstruktur) und die organische Bodensubstanz wird nochmals vermehrt der Oxidation ausgesetzt und mineralisiert (Tasten mineralische Substanz).


Dadurch stehen auf einen Schlag viel mehr Nährstoffe zur Verfügung, was die Bakterien aufleben lässt aber den Pilzen schadet (Taste Bodennahrungsnetz). Ein erhöhtes Unkrautwachstum ist zu beobachten (Taste Flora). Die vermehrt aus Makroporen bestehende Bodenstruktur führt zu Wasserverlust (Zentrum Wasser). Eventuelle Bodenverdichtungen mit anaeroben Zonen verstärken Redox-Schwankungen im Boden (Tasten Bodenstruktur und Ladungen und Kräfte), was wiederum Unkraut fördert (Taste Flora). Und so weiter!


Und so kommen wir zu folgender Schlussfrage:


Wie können wir nutzbringend mit der «Klaviatur des Landwirts» spielen? In anderen Worten: Wie können wir gutes stabiles Bodenwetter begünstigen?

Regenerative und agrarökologische Massnahmen: Zum Beispiel Keyline-Design


Die Antwort ist eigentlich einfach: Alle regenerativen Massnahmen, welche zum Ziel haben, die organische Bodensubstanz aufzubauen, wirken sich positiv auf das Bodenwetter aus. Mehr dazu natürlich auf unserer Website. 😉


Die Palette an Massnahmen ist freilich noch sehr viel grösser. Zwei Ansätze, beide aus dem Bereich der Agrarökologie, möchten wir hier noch kurz skizzieren.


Es handelt sich um Keyline-Design und Agroforstwirtschaft.

Keyline-Design hat zum Ziel, die Nutzung der Wasserressourcen eines Landstrichs zu optimieren. Der Ansatz setzt Erdarbeiten voraus - und zwar wird die Landschaft in Form von Gräben und Retentionsbecken modelliert, so dass Regenwasser zurückgehalten, verlangsamt und von feuchten Senken Richtung trockene Kuppen regelmässig(er) verteilt werden kann.


Dadurch wird Bodenfeuchte für einen längerem Zeitraum aufrechterhalten, die Erosion von löslicher organischer Substanz minimiert und der Bodenaufbau von unten gefördert (vermehrte Umwandlung von Unterboden in lebendigen, fruchtbaren Oberboden).


Wenn ein Grundstück durch Keyline-Design erst «stabilisiert» und optimal hydratisiert ist, können Bodenverbesserungen «von oben», wie z.B. das Ausbringen von Trockenfermenten oder das Sprühen von Komposttee, dauerhafter und konsequenter wirken.


Die Agroforstwirtschaft fokussiert hingegen primär auf die Maximierung von Biomasse und Diversität. Und zwar nutzt sie den Vorteil, dass die höchste Biomasse-Produktion (d.h. die höchste Umwandlung von Sonnenenergie in organische Substanz) wie auch die höchste Biodiversität in natürlichen Ökosystemen dort zu finden ist, wo die Buschvegetation in den Wald übergeht.


Führe ich also als Landwirtin in meinem Anbaukonzept neue Stockwerke ein, d.h. Büsche und Bäume, vergrössere ich die Oberfläche für das Auffangen der Sonnenenergie. So kann ich auf meiner Fläche mehr und diverser produzieren und neue Einkommensquellen wie z.B. Wertholz oder Frucht- und Nusskomponenten erschliessen.


Ausserdem akkumuliere ich über und dadurch im Boden Biomasse, welche die Bildung von Humus begünstigt. Nebst vielen anderen positiven Effekten (Habitat-Vielfalt, Nützlingsförderung, verminderte Erosion, reduzierte Nitratauswaschung, Windreduktion etc.) fördere ich durch die tiefwurzelnden Büsche und Bäume auch den sogenannten «hydraulischen Lift»: Dabei wird Wasser aus tieferen und feuchteren Bodenregionen in flachere und trockenere Bodenschichten transportiert bzw. umverteilt. Wasser, das dann den flachwurzelnden Jahreskulturen auch in Trockenzeiten zur Verfügung steht.


Jetzt loslegen


Die Auswahl an guten Ansätzen und konkreten Massnahmen zur Stabilisierung der Verhältnisse im Boden ist gross. Auf der Klaviatur des Landwirts gewandt spielen zu lernen, erfordert natürlich Zeit und viel Übung.


Die Investition lohnt sich jedoch allemal, denn die Rendite lässt nicht lange auf sich warten: durch verbessertes «Bodenwetter» kann das ganze System Boden-Pflanze-Mikroorganismen auf einem höheren Energie- und Gesundheitsniveau funktionieren, was es viel widerstandsfähiger gegen die eingangs genannten abiotischen Einflüsse wie Starkniederschläge oder extreme Trockenheit macht.


Deshalb: Auf die Plätze-Fertig-Los!


Fussnote zu den katastrophalen Unwetterschäden vom Juli 2021 in diversen Regionen Westeuropas:

Die positive Beeinflussung des lokalen Bodenwetters hat ganz klar ihre Grenzen – steht unser Land z.B. wegen Überschwemmungen tagelang unter Wasser, kommen die meisten Massnahmen der regenerativen Landwirtschaft bzw. der Agrarökologie vor Ort nicht mehr zum Tragen. Für eine wirksame Prävention muss dann dringend auf anderer Ebene angesetzt werden, siehe dazu unter anderem den Blogpost Wasser, Humus und das Klima!


Quellen / Links:


Bayala J., Prieto I. (2020): Water acquisition, sharing and redistribution by roots: applications to agroforestry systems. In : Plant ans Soil, volume 453, pages 17-28

Shepard Mark (2020): Water for any farm. Appyling restoration agriculture water management methods on your farm. Acres USA publishing


Weiterbildung:



Carbon Micro Cycling, Harriet Mella, https://kindharvest.ag/courses/ra-cc-carbon-course/

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