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Plastik wird in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut. Es zerfällt in immer kleinere und kleinste Teilchen, die sich in der Umwelt und unseren landwirtschaftlichen Böden anreichern. Was löst das Mikroplastik bei den Mikroben und anderen Lebewesen im Boden aus? Was bedeutet es für die Gesundheit unserer Kulturpflanzen? Eine Spurensuche.
Zwischen 1950 und 2015 wurden in etwa eine Tonne Plastik pro Menschen, der heute auf Erden lebt, produziert – über 8 Milliarden. Fast all dieses Plastik ist immer noch in dieser Welt zu finden, denn es ist biologisch kaum oder nur sehr langsam abbaubar und eine Kehrichtverbrennung ist auf den meisten Orten dieses Planeten immer noch ein Luxusobjekt.
Über das Trinkwasser, unsere Nahrung oder die Atemluft nehmen wir Erdenbürgerinnen und -bürger gemäss einer WWF-Studie im Durchschnitt mehrere Gramm Plastik pro Woche auf. Wieviel von diesem Plastik wir wieder ausscheiden und ob diese regelmässige Aufnahme gesundheitlich problematisch ist, kann die Wissenschaft noch nicht schlüssig beantworten.
In unserem Kontext der regenerativen Landwirtschaft interessieren aber insbesondere die Fragen: Wie schmeckt das tägliche Plastik unseren Kulturpflanzen? Und wie lebt es sich als Bodenlebewesen oder Mikrobe im Plastikzeitalter?
Woher stammt das Mikroplastik in meinem Boden?
«Sichtbare» Plastikverschmutzung wie zum Beispiel herumliegende Plastikabfälle oder Littering macht nur rund ein Viertel des in die Umwelt gelangenden Kunststoffs aus. Ganze 75% ist indessen Mikroplastik, welches aus der Fragmentierung dieser grösseren Plastikteile (Makroplastik) oder aus Abrieb entstanden ist. Mikroplastik hat ein Partikeldurchmesser von 0.001mm bis 5mm und ist von blossem Auge kaum oder gar nicht erkennbar. Der grösste Reservoir dieser globalen Kunststoffschwemme in Kleinstformat befindet sich im Boden (nein – nicht in den Ozeanen!).
Mikroplastik gelangt nicht nur über die Luft, sondern auch über Regen, Abwasser, verseuchten Kompost, Klärschlamm (in der CH seit 2006 verboten), Düngemittel aber zum anderen auch über Pflanzenschutzmittel oder Samen, die mit Kunststoffen beschichtet werden, sowie über verschiedene oft kurzlebige landwirtschaftliche Gebrauchsmaterialien auf die Bodenoberfläche. Von dort gelangen die Plastikteilchen durch Bodenlebewesen, Bodenbearbeitung, Niederschläge etc. tiefer in den Boden, wo sie sich zu Konzentrationen von zehntausenden von Plastikteilchen bzw. mehreren Milligramm Plastik pro Kilo Erde anreichern können und teilweise weiterwandern, z.B. ins Grundwasser.
Gemäss der Studie «Plastik in der Landwirtschaft» wird auf landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Schweiz eine jährliche Menge von ca. 16’000t Plastikprodukten, wie z.B. Vliese oder Folien, ausgebracht. Der grösste Teil dieser Plastikartikel wird wieder abgeführt und erneut verwendet oder rezykliert bzw. verbrannt. Ca. 1% der Plastikmenge bleibt aber als Plastikeintrag im Boden zurück.
Die meisten Kunststoffeinträge stammen jedoch von ausserhalb der landwirtschaftlichen Flächen: So sollen in der Schweiz pro Jahr mindestens 14’000t Kunststoffe in die Natur gelangen, der allergrösste Teil als Mikrogummi aus Reifenabrieb. Dieses setzt sich in Bändern entlang stark befahrenen Strassen in besonders hohen Konzentrationen ab.
Wie wirkt sich Mikroplastik auf meinen Boden aus?
Im Unterschied zu anderen chemischen Umweltschadstoffen (wie z.B. Blei) ist Mikroplastik nicht «nur» eine chemische Verbindung, sondern ein sehr kleines Stoffteilchen mit einem internen Volumen. Dieses Stoffteilchen, auch Partikel genannt, kann Lebensraum für mikrobielle Gemeinschaften, Vehikel für Schadstoffe sowie - aufgrund seiner diversen, oft unbekannten Inhaltstoffen - Quelle von Giftstoffen sein.
So gibt es nicht «das Mikroplastik» (wie es eben die chemische Verbindung Blei gibt), sondern Milliarden Arten von Mikroplastik: Zum einen unzählige verschiedene Kunststoffe, die mit -zig unterschiedlichen Chemikalien (Additiven) versetzt sind; zum anderen viele unterschiedliche Formen wie Faser, Kügelchen oder Schäume.
Kommt Mikroplastik in den Boden, verändert es aufgrund seiner Form und Inhaltstoffe die physikalischen und chemischen Parameter des Bodens. Je stärker die Form der Kunststoffpartikel von der natürlich vorkommenden Form der Bodenpartikel abweicht, desto potentiell schwerwiegender sind die Auswirkungen auf die Bodenphysik bzw. Bodenstruktur (z.B. Grösse und Form der Erdkrümel, Porenvolumen, Luft- und Wasserhaushalt).
Und je kleiner die Partikel, d.h. je fortgeschrittener die Fragmentierung, desto mehr verschieben sich die Auswirkungen von einer physischen zu einer chemisch-toxischen Ebene hin. Dies aus dem einfachen Grunde, dass vermehrt Chemikalien freigesetzt werden.
Die Effekte auf Stoffkreisläufe, Bodenlebewesen und Pflanzen?
Eine Veränderung der physikalischen und chemischen Parameter des Bodens kann die Umweltbedingungen und Ökosystemfunktionen in Plastiknähe modifizieren. Dadurch entstehen andersartige oder sogar neue Lebensbedingungen und -prozesse für Lebewesen und Pflanzengemeinschaften rund um das Plastik. So können zum Beispiel kleinste Plastikpartikel den Nährstoffkreislauf von C, N und P im Boden verändern, indem sie die Nährstoffverfügbarkeit im Boden, die Aktivitäten von Bodenenzymen sowie die mikrobiellen Gemeinschaften und ihre ökologischen Funktionen beeinflussen.
Bäume und Nutzpflanzen können kleinste Plastikteilchen über die Wurzeln aufnehmen und in die oberen Pflanzenteile einlagern bzw. anreichern, was womöglich Interaktionen mit pflanzeneigenen Stoffwechselprozessen und toxische Reaktionen zur Folge haben könnte. Und im Magendarmtrakt von Lebewesen kann das Mikroplastik bioverfügbar gemacht werden und auf diese toxisch wirken.
Interessant ist zudem, dass sich die Plastisphäre – also die mikrobiellen Gemeinschaften, die das Kunststoffpartikel und die wenigen Millimeter Bodenvolumen darum herum besiedeln – aus anderen und weniger vielfältigen Untergruppen von Mikroben zusammensetzen als jene im umgebenden Boden. Diese Plastisphäre stellt gewissermassen ein neuer Lebensraum dar, man könnte sogar sagen, eine neue ökologische Nische. Diese weist vermehrt Bakterien und Pilze auf, die Plastik aufspalten oder verstoffwechseln.
Aber auch krankheitserregende Arten wie Schwärze- oder Hefepilze sowie potenzielle Krankheitserreger und Antibiotikaresistenzgene, welche sich auf das Gleichgewicht und die Gesundheit unserer Böden auswirken könnten, finden sich in konzentrierter Form in diesem Lebensraum wieder.
Interessanterweise wurden durch Mikroplastik auch positive Effekte auf Organismen beobachtet, z.B. ein besseres Pflanzenwachstum auf durch Mikroplastikfasern aufgelockerten Böden.
Das globale Vermächtnis der Kunststofftoxizität
Analog zur Treibhausgas-Problematik gilt auch für die Kunststoffe: Zwar befindet sich das Plastik längst in der Umwelt; das gesamte Ausmass der Auswirkungen, das von der Plastikverschmutzung hingegen ausgeht, ist aber noch lange nicht real.
Denn erst die Zeit bzw. Umweltexposition, welche zu einer langsamen Verwitterung und Fragmentierung des Materials führt, bringt die im Plastik enthaltenen oft giftigen Chemikalien an die Oberfläche der Plastikteilchen. Von der Plastikoberfläche diffundieren diese über die Jahre oder Jahrmillionen in die Umwelt, wo sie auf Organismen toxisch wirken können. Je kleiner das Material wird, desto grösser wird die Oberfläche und die Diffusion von Giftstoffen.
Den Höhepunkt der Freisetzung der Chemikalien aller sich in der Umwelt befindenden Kunststoffe haben wir noch lange nicht erreicht, wie aus der Illustration unten zu entnehmen ist. Wir hinterlassen somit mit unserer historischen und jetzigen Plastikverschmutzung ein Vermächtnis gegenüber kommenden Generationen.
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Quellen
RilligLab - Life in the Soil (you tube channel von Matthias C. Rillig)
Matthias C. Rillig et al: The Global Plastic Toxicity Debt. Environ. Sci. Technol. 2021, 55, 2717−2719.
Matthias C. Rillig et al: The Soil Plastisphere. Nature Reviews Microbiology 2024, Vol. 22, 64–74
Dong Zhu et al: Soil plastispheres as hotspots of antibiotic resistance genes and potential pathogens. The ISME Journal volume 2022, Vol 16, 521–532.
So gelangen Plastikteilchen in die Pflanzen – und in unser Essen (Artikel, 2022)
Mikroplastik beeinflusst Pflanzenwachstum (Artikel, 2020)
Maria Elvira Murazzi et al: Can forest trees take up and transport nanoplastics? iForest - Biogeosciences and Forestry 2022, Volume 15, Issue 2, 128-132.
Liu Yingying et al: Uptake and translocation of nano/microplastics by rice seedlings: Evidence from a hydroponic experiment. Journal of Hazardous Materials 2022, Volume 421, 126700
WWF Australia / The University of Newcastle: No plastic in nature: assessing plastic ingestion from nature to people (2019)
Kieran D. Cox et al: Human Consumption of Microplastics. Environ. Sci. Technol. 2019, 53, 12, 7068–7074
Frauenhofer Umsicht (2018): Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik
Frauenhofer Umsicht (2021): Kunststoffe in der Umwelt: Emissionen in landwirtschaftlich genutzte Böden
Welt aus Plastik – wie der Mensch die Erde verändert (Artikel, 2023)
Plastikatlas 2019, Heinrich Böll Stifung
Micro- and Nano-Plastics is agricultures soils (Minagris Project, 2021-2026)
Tong Li et al (2023): Micro- and nanoplastics in soil: Linking sources to damage on soil ecosystem services in life cycle assessment. Science of The Total Environment, Volume 904
Mikroplastik -das Quäntchen zu viel? (Artikel, 2023)
Kalberer A., Kawecki-Wenger D., Bucheli Th. (2019): Plastikströme in der Schweizer Landwirtschaft und ihr Risikopotenzial für Böden. Agrarforschung Schweiz 10 (11+12), 416–423
Muhammad Salaam et al (2023): Effects of micro(nano)plastics on soil nutrient cycling: State of the knowledge. Journal of Environmental Management, Vol. 344, 118437
Thilo Hoffmann et al (2023): Plastics can be used more efficiently in agriculture. Communications Earth & Environment, volume 4, Article number 332
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