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Arianna Bisaz

Pflanzengesundheit im Vergleich: Redox bei Komposttee und Fungizid

Aktualisiert: 2. Dez. 2023

Ob Mensch, Tier, Pflanze oder Mikrobe, es gilt für alle Lebewesen gleich: Energielevel und Gesundheitsgrad eines Organismus lässt sich über die Kombination von zwei Messwerten abbilden, dem Redoxpotential, auch «Redox» genannt (hier mit Eh bezeichnet und in Millivolt mV gemessen), und dem ph-Wert.


Wir wissen bereits aus dem Blogpost «Starke Kulturen dank Redox-Steuerung», dass zahlreiche gängige landwirtschaftliche Praktiken wie z.B. die mechanische Bearbeitung der Böden, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und synthetischen Düngern oder unbewachsene nackte Böden die Redox- und pH-Werte von Boden und Pflanzen gewaltig durcheinanderbringen.


Diese «Stressfaktoren» führen zu einer Oxidation der Böden und beeinträchtigen deren Fruchtbarkeit, indem ständig aus dem Elektronen- und Protonen-Bodenreservoir geschöpft wird. Auch ist längst erwiesen, dass Schädlinge gezielt Pflanzen befallen, welche aus dem Eh/pH-Gleichgewicht geraten sind.


Gewisse landwirtschaftlichen Verfahren wirken sich aber positiv auf den Redox aus. Ein mit lebenden Pflanzendecken und Mulch geschützter Boden, eine gute Bodenstruktur mit einem ausgeglichenen Wasserhaushalt, organische Dünger und natürliche Präparate erzielen insgesamt eine Zunahme an Energie und organischer Substanz. Die elektrische Fruchtbarkeit des Bodens wird erhöht, der Boden wird gegenüber Eh/pH-Schwankungen stabiler (gesteigerte Pufferleistung) und ein für die Pflanzen optimaler Redox-Wert pendelt sich ein.


Dieser Blogpost lädt zu einem vergleichenden Redox-Ausflug zu zwei landwirtschaftlichen Behandlungsmethoden ein:


  • Pflanzenschutzmittel zum einen,

  • Biostimulans Komposttee zum anderen.


Zum besseren Verständnis dieses Beitrages empfiehlt sich die vorgängige Lektüre der Blogposts «Starke Kulturen dank Redox-Steuerung», «Redox und die Pflanzenernährung» sowie «Wann ist ein Schädling ein Schädling?


Fungizid: Pflanzengesundheit im Oxidations-Jo-Jo


Pflanzenschutzmittel verdanken ihre Daseinsberechtigung ihrer sehr stark oxidierenden Wirkung: Sie verursachen einen «chemischen Angriff», welcher die Pathogene auf den Pflanzenteilen zerstört. Dabei denaturieren und schwächen sie aber auch die Pflanzengewebe. Im videobasierten Kurs «Diagnostiquer l'impact des pratiques agricoles avec le redox» (Auswirkungen landwirtschaftlicher Praktiken mit Redox diagnostizieren) unserer französischen Kollegen von Ver de Terre Production wird die Wirkungsweise eines Fungizids anhand der Redox-Bewegungen veranschaulicht, siehe folgende Tabelle:

Redox und Pflanzengesundheit bei Fungiziden

Pourbaix-Diagramm mit den Auswirkungen eines Fungizids auf den Eh/pH der Pflanze. Die vertikale Achse des Diagramms stellt das Reduktionspotential Eh in mV dar und ist ein Mass für die Tendenz einer Substanz, Elektronen zu gewinnen (Reduktion) oder zu verlieren (Oxydation). Die horizontale Achse stellt den pH (log-Funktion der H+-Ionenaktivität) dar. Quelle: Ver der Terre Production


Biostimulanzien: Der Weg der Reduktion


Ein Biostimulans fördert die natürlichen Stoffwechselprozesse von Pflanze und Bodenleben. Es besteht grob gesagt aus organischem Material und/oder einem Mikroorganismus mitsamt seinen Stoffwechselausscheidungen.


Biostimulanzien führen zu einer erhöhten Photosyntheseaktivität der Pflanze, was automatisch zu ihrer Reduktion beiträgt. Auch fördern sie die Widerstandskraft der Pflanze, da die in ihnen enthaltenen reduzierten Stoffwechselprodukte grösstenteils identisch sind mit jenen, die eine Pflanze absondert, um (oxidative) Stresssituationen zu ertragen.


Biostimulanzien wirken zudem aufgrund ihrer eigenen tiefen Redox-Werte meist leicht bist stark reduzierend. So «bewegen» sie alles in allem die Pflanze weg von den ungünstigen Eh/pH-Bereichen, wo sich Pathogene entwickeln, siehe folgendes Diagramm:


Pourbaix Diagramm Redox-Werte und Pflanzengesundheit bei Biostimulantien

Pourbaix-Diagramm mit den Eh/pH-Werten von Biostimulanzien. Biostimulanzien entfalten somit eine grosse Wirkung auf die Eh/pH-Werte von Pflanze und Boden; ihre Redox-Werte befinden sich alle unterhalb der kritischen Bereiche, wo Pflanzen-Pathogene sich gerne tummeln: (1) Brennesseljauche, (2) Farnjauche, (3) Orgatrex-Melasse (angereichert mit Alfalfa-Mehl, Siliziumoxid und Gesteinsmehl, (4) Flüssigalgen Phylgreen, (5) Fulvosäuren, (6) Wurzelbiostimulans Cosmocel (NPK und Aminosäuren), (7) Obstacle Cosmocel (Calciumsilicat mit Chitosan), (8) Vertal Maraîchage (Antioxidative Pflanzenextrakte auf Melassenbasis mit Mangansulfat), (9) vitaminen K und C und (10) Sol Start Upness (Kohlenstoffquelle mit Humin- und Fulvosäuren). Quelle: Ver de Terre Production


Komposttee ist ein Biostimulans, der zur Anregung der Pflanzenabwehr und des Pflanzenwachstums insbesondere bei jungen Pflanzen in Form von Blattspritzungen angewendet wird. Aufgrund des aeroben Brauvorganges und der alkalischen Ausscheidungen der grossen Bakterienpopulationen im Präparat ist der Komposttee - im Gegensatz zu den meisten anderen Biostimulanzien – alkalischer und oxidierter als der optimale Redox-Gesundheitsbereich der Pflanze (siehe Diagramm). Trotzdem – oder gerade deshalb! – fördert er die Pflanzengesundheit. Wie genau?


Pourbaix Diagramm Redox-Werte und Pflanzengesundheit bei Komposttee

Pourbaix-Diagramm: Redox-Werte von Komposttee. Der grüne Bereich « santé des plantes» stellt den optimalen Redox-Bereich einer gesunden Pflanze dar. TCO classique = Einfacher Komposttee aus Wurmkompost und Melasse. TCO surchargé = Komposttee aus Wurmkompost, Melasse, Guano, Algen, Fulvo- und Huminsäuren, frischem Luzernenextrakt und Pilzsporen (Trichoderma harzianum). Diese beiden Komposttees weisen relativ hohe Eh-Werte auf; je nach Brausystem (Belüftungsintensität) und Zutaten kann der Eh des Komposttees auch viel tiefer liegen – Eh-Werte um 30-100mV sind möglich - und die oxidative Stresseinwirkung dadurch deutlich verringert werden bzw. ganz wegfallen. Quelle: Ver de Terre Production und Edapro


Komposttee: Oxidieren um besser zu reduzieren


Komposttee enthält viele Vitamine, Enzyme und Nährstoffe, die von der Pflanze direkt aufgenommen werden und dank erhöhter Photosyntheseaktivität ihren Brix-Wert (Zuckergehalt im Pflanzensaft) steigen lässt. Je nach Redox-Wert des Präparates bewirkt das Aufsprühen von Komposttee auf die Pflanzenblätter auch einen (leichten bis mittelschweren) initialen oxidativen Stress, welcher die Pflanze in einen Zustand der Alarmbereitschaft versetzt und ihre Abwehrkräfte stimuliert: Pathogenrezeptoren auf den Pflanzenmembranen werden vermehrt und die Produktion von Abwehrmolekülen, welche reduzierende Eigenschaften haben, stimuliert. So können «alarmierte» Pflanzen bei Schädlingsattacken nicht nur effektiver und schneller reagieren; die grosse Anzahl reduzierend wirkender Abwehrmoleküle führen zudem zu sinkenden Redox-Werten der Pflanzengewebe, welche diese weniger anfällig für Pathogene machen (siehe Schema unten).


In Experimenten mit Kartoffelpflanzen konnten Olivier Husson und sein Team nachweisen, dass die Redox-Werte der Pflanze durch Komposttee-Blattapplikationen je nach Kompostteerezept um 60 bis 160mV gesenkt wurden. Befindet sich eine Pflanze gerade auf der Kippe zwischen einem gesunden Redox-Bereich und einem Bereich, wo gewisse Pathogene gerne verweilen, kann ein Unterschied im Bereich von nur 15-20mV den Ausschlag zwischen einer krankheitsanfälligen und resistenten Pflanze geben.


Redox-eh-Werte Komposttee Pflanzengesundheit

Schema: Die gepunktete Linie stellt den Eh -Ausgangswert einer Pflanze dar, die blaue Linie die Entwicklung des Redox-Wertes nach einer Blattspritzung mit einem Komposttee, der einen hohen Eh von ca. 260-380mV aufweist. Eine Pflanze wird mit Komposttee besprüht (grüner Pfeil). Der Komposttee führt zu oxidativem Stress der Pflanze (rot markierter Bereich). Dieser oxidative Stress stimuliert die Abwehrkräfte der Pflanze. Die Stimulierung der Abwehr wird durch die Produktion von Abwehrmolekülen charakterisiert, die reduzierende Wirkung haben. Der globale Redoxwert der Pflanze sinkt unter dem Ausgangswert und die Pflanze wird für Krankheitserreger weniger attraktiv. Quelle: Ver de Terre Production


Aufgrund dieser anfänglichen Stresseinwirkung ist gemäss Ver de Terre Production bei der Applikation von Komposttee eine gewisse Vorsicht geboten: Die per Blattspritzungen behandelten Pflanzen müssen genug Energie haben, um in den Zustand der Alarmbereitschaft treten und den leicht oxidierten Komposttee in reduktive Komponenten umwandeln zu können!


Adrian Rubi von der Schweizer Firma Edapro, welche auf Komposttee und Kompostextrakte spezialisiert ist, relativiert diese «Warnung». Aufgrund seiner Erfahrung zeigt der Komposttee wenig Effekte bei biotisch gestressten Pflanzen, d.h. bei Pflanzen, die bereits von Insekten befallen sind oder irgendwelche Krankheiten austragen – er wirkt also kaum positiv, aber auch nicht negativ. Bei abiotischem Stress hingegen, also beispielsweise bei Frost, Hagel, Hitze, Trockenheit oder starkem Regen, zeigt die Anwendung von Blattapplikationen mit Komposttee klare pflanzengesundheitsfördernde Effekte. Diese Beobachtungen basieren jedoch auf Kompostteepräparaten, die deutlich tiefere Eh-Werte aufweisen als jene, welche bei Ver de Terre Production analysiert wurden (ca. 30-100mV versus 260-480mV).


Komposttee in grossen Tropfen applizieren


Noch eine Randbemerkung zu einem parallel ablaufenden Redox-Phänomen: Sobald der applizierte Komposttee auf dem Pflanzenblatt mit dem Luftsauerstoff in Kontakt tritt, beginnt er zu oxidieren. Beim Trocknungsvorgang auf dem Blatt unterliegt der Komposttee dann erneut Oxidationsprozessen. Um diese Oxidierung zu verlangsamen und die Bioverfügbarkeit der gespritzten Elemente zu erhöhen empfiehlt es sich, die Berührungsfläche des Komposttees mit dem Luftsauerstoff möglichst klein zu halten – konkret heisst das, das Präparat mit grossen Tropfgrössen zu sprühen (bei Pflanzenschutzmitteln gilt natürlich das Gegenteil: Grösse des Sprühtropfens reduzieren, denn je kleiner der Tropfen, desto grösser der Kontakt mit dem Luftsauerstoff, welcher die verbrennend-oxidierende Wirkung des Pflanzenschutzmittels erhöht). Auch können dem Komposttee reduzierende Stoffe beigemischt werden, z.B. Zitronensäure, so dass der Oxidationsprozess gebremst wird.


« Un sol nu est un sol foutu »


Applikationen von Pflanzenschutzmitteln können unsere Kulturen im Notfall retten, diese aber auch in eine Spirale der Abhängigkeit führen. Natürliche Präparate können der Pflanze helfen, ihr Redox-Gleichgewicht und somit ihre Gesundheit zu erhalten - immer vorausgesetzt, sie werden im richtigen Moment und auf die richtige Arte und Weise angewendet.


Sind wir uns der Auswirkungen unserer landwirtschaftlichen Praktiken auf die Redox-Landschaft bewusst, versetzen wir uns in die Lage, unsere tägliche best practice zu evaluieren und wo nötig anzupassen, damit wir positiv und gezielt auf den Gesundheitslevel unserer Pflanzen und Böden einwirken können. Diese Anpassung muss grundsätzlich mit einem Wechsel von einem technisch-oxidierenden zu einem systemisch-regenerierenden Ansatz von statten gehen werden, bei dem die Maximierung von Photosynthese und Biomasse durch gesunde Pflanzen die Zauberformel ist.


Die Photosynthese als primärer Reduktionsprozess und Basis alles Lebens ist die herausragende Nummer 1 für die Verbesserung der (elektrischen) Fruchtbarkeit.

Olivier Husson bringt es auf den Punkt: «Un sol nu est un sol foutu!»


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